„Auf globale
Pandemien braucht
man globale
Antworten“
COVID-19 hat die Welt vor enorme Herausforderungen
gestellt. Nach dem wochenlangen Stillstand folgen Forderungen nach gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Veränderungen. WERTE hat sieben Persönlichkeiten gefragt,
was sie in dieser Zeit erlebt und gelernt haben und wo
sie die größten Herausforderungen für die Zukunft sehen.
Text: Barbara Friedrich, Martin Häusler
Illustrationen: Karin Kellner
Einheit macht
stark, Spaltung
schwächt
Martin Schulz hat sich Zeit seines Lebens für die Einheit Europas eingesetzt. Da verwundert nicht, dass der langjährige Präsident des EU-Parlaments als eine Folge der Krise mehr europäische Solidarität mit Italien, Spanien und Griechenland fordert.
Was ist die
größte Erkenntnis,
die wir aus
der Corona-Krise
ziehen müssen?
Was ist zu tun, um
wahre Veränderung
zu initiieren und
nicht in alte Muster zurückzufallen?
Was haben Sie in
der Corona-Krise
über sich und
das politische
System gelernt?
Dass Einigkeit stark macht und Spaltung schwächt. Das ist auf der europäischen und auch auf der nationalen Ebene sichtbar
geworden. Wenn in solch schwierigen Zei- ten über Parteigrenzen hinweg das Volk zusammensteht, dann bewältigt es eine solche Krise leichter, als wenn die Spalter obsiegen. Das kann man übrigens gut im
Vergleich von Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien auf der ei- nen Seite und Ländern wie Großbritannien, den USA und Brasilien auf der anderen Sei- te sehen.
Wir müssen zukünftig in Krisen wie dieser drei Dinge tun: Erstens, verinnerlichen, dass diejenigen, die am stärksten betroffen sind, der stärksten Solidarität bedürfen. Das betrifft in diesem Falle Italien, Spanien und Griechenland. Zweitens: Wir müssen einsehen, dass der starke Staat nicht eine Erfindung von ein paar altmodischen Leu- ten ist. Die Länder, die eine medizinale und auch Verwaltungsinfrastruktur weiter vor- gehalten haben als andere, die diese abge- baut haben, sind besser in der Lage, in Kri- sen den Menschen zu helfen. Drittens: Auf globale Pandemien braucht man globale Antworten. Daher müssen wir internatio- nale Organisationen wie die EU, die UN und die WHO stärken. Auch weltweite For- schungskooperationen halte ich für ganz wichtig sowie Klarheit über gerechte Ver- teilungsmechanismen von Impfstoffen und Medikamenten.
Das politische System der Bundesrepublik Deutschland hat sich bewährt. Der Föderal- staat, der auf den ersten Blick vielstimmig erscheint, ist auf den zweiten Blick im Vor- teil, weil er ortsnäher entscheiden kann
als zentralisierte Staaten. Über mich selbst habe ich gelernt, dass ich wie viele, viele Millionen anderer Menschen auch, ein so- ziales Wesen bin. Die Isolierung ist für eine gewisse Zeit durchzuhalten, aber dauerhaft brauchen Menschen zu einem glücklichen Leben andere Menschen.
Heute spielt die Digitalisierung eine essenzielle Rolle
fürs Überleben eines Unternehmens
Technogym ist ein italienischer Hersteller von exklusiven Fitnessgeräten. Das 1983 von Nerio Alessandri gegründete
Unternehmen ist seit dem Jahr 2000 offizieller Lieferant
verschiedener Olympischer Spiele. Der Unternehmer sieht
vor allem Auswirkungen auf den Gesundheitsmarkt.
Wo sind die Folgen
der Coronakrise
für Technogym am deutlichsten zu
spüren gewesen?
Welche
Auswirkungen
hatte die
Pandemie auf
Ihr Geschäft?
Welche
nachhaltige Veränderung
erwarten Sie durch
Corona für die Zukunft
Ihrer Branche?
Die Krise hat sich in den letzten Monaten in privater wie in beruflicher Hinsicht
am stärksten auf die digitale Entwicklung ausgewirkt. Zweifellos hat sie in allen Branchen deutlich an Fahrt aufgenommen. Dazu zählt auch der Fitness-Sektor. Der Lockdown hat uns generell gezeigt, dass wir unsere Lieblingsprodukte auf unter- schiedliche Art und Weise und an verschie- denen Orten nutzen können. In vielen Branchen bedeutete das Angebot digitaler Produkte oder Dienstleistungen vor der Krise nur einen Wettbewerbsvorteil. Heute spielt die Digitalisierung eine essenzielle Rolle fürs Überleben eines Unternehmens. Ich bin überzeugt davon, dass ein persönli- cher Kontakt und Reisen wieder möglich sein werden und wir wieder ein halbwegs normales Leben werden führen können. Auf die digitalen Vorzüge, die wir während der letzten Monate zu schätzen gelernt
haben, werden wir aber sicherlich auch
in Zukunft nicht mehr verzichten.
Hinsichtlich unseres Geschäfts – Fitness, Wellness, Sport und Gesundheit – hat die Pandemie zu einer höheren Nachfrage nach Produkten und Services für den privaten Bereich geführt. Dazu zählt zum Beispiel unser brandneues Technogym-Bike, über dessen Konsole auf Abruf die Teilnahme
an Spinning-Kursen mit international be- kannten Trainern möglich ist. Auf der an- deren Seite haben wir Fitnessstudios mit unserer einzigartigen digitalen Plattform unterstützt. So konnten sie ihren Mitglie- dern während des Lockdowns ihre Dienste für zu Hause anbieten.
Was wir in den vergangenen Monaten
erlebt haben, hat uns in vielerlei Hinsicht
belehrt. Zunächst wurde Gesundheit
für die Menschen zur obersten Priorität,
und regelmäßiger Sport verhilft zu einer besseren Form sowie einem gesünderen Leben. Nach der langen Zeit des unfreiwil- ligen Herumsitzens und den entsprechen- den Auswirkungen auf die Gesundheit
haben die Menschen wieder große Lust
auf Sport und Bewegung. Darin erkennen wir ein großes Potenzial für die weitere Entwicklung.
Für mich offenbart
die Corona-Krise
die Schwachstellen
im System
Die deutsche Menschenrechtlerin ist seit 2019 Mitglied der Fachkommission Fluchtursachen der Bundesregierung. Der Lockdown habe noch mehr verdeutlich, wie wichtig Investitionen in digitale Bildung und das Gesundheitssystem sind.
Was ist die
größte Erkenntnis,
die wir aus
der Corona-Krise
ziehen müssen?
Halten Sie die
Menschheit für fähig, nach Corona eine andere, neue, nachhaltigere
Welt zu bauen?
Was haben Sie in
der Krise über sich als Mensch gelernt und
über Ihre Organisation gelernt?
Für mich offenbart die Corona-Krise die Schwachstellen im System. Beim Kranken- hauspersonal, bei der Pflege von alten Menschen und der Digitalisierung der Schulen wurden jahrelang Ressourcen
eingespart oder diese nicht in vollem
Umfang bereitgestellt. Das zeigt, dass wir
den ganzen Bereich der Care-Arbeit in der Gesellschaft stark vernachlässigt haben!
Ja. Vielen Menschen hat die Krise vor Au- gen geführt, dass Menschen unterschied- lich von der Krise betroffen sind, je nach gesellschaftlicher Schicht, Geschlecht, Al- ter oder nach gesundheitlicher Verfassung. Natürlich: Ignorante Menschen wird es im- mer geben. Aber ich denke, diejenigen, die über den Tellerrand hinaus schauen, wer- den das in Zukunft mit geschärftem Blick tun.
Ich habe gelernt, dass es verdammt an- strengend ist, plötzlich auf sich selbst
zurückgeworfen zu werden, wenn die Ge- samtsituation um einen herum unsicher wird. Aber auch, dass es ebenso hilft, wenn man eine Aufgabe hat, der man sich trotz der Corona-Beschränkungen fast vollum- fänglich widmen kann – was aber auch
ein Privileg ist, das nicht jeder hat! Was
uns als Organisation angeht, habe ich ge- lernt, dass wir sehr resilient sind, einfach weil jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeite- rin ein hohes Maß an eigener Motivation mit in die Waagschale wirft, und auch
mal einspringt, wenn jemand gerade keine
100 Prozent geben kann. Das ist viel wert!
Wenn wir alle
an einem Strang
ziehen, kommen wir auch durch solch unvorhersehbare Krisen
Karl von Rohr ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank. Der Vater von vier Kindern sieht die Deutsche Bank personell, technisch und strategisch auf dem richtigen
Weg, um Krisen wie die Pandemie zu meistern.
Welche ist die größte
Erkenntnis, die wir
aus der Corona-Krise
ziehen müssen?
Halten Sie die Menschheit für fähig, nach Corona eine andere, neue, nachhal- tigere Welt zu bauen?
Was haben Sie in der
Corona-Krise über sich
als Mensch und über
die Deutsche Bank gelernt?
Es wird immer wieder Umstände geben, die wir nicht beeinflussen können. Wir können aber stets versuchen, das Beste daraus zu machen. Die Corona-Pandemie war keine Krise, wie wir sie bislang kannten. Dennoch haben wir uns schnell darauf eingestellt – das gilt für unser Unternehmen insgesamt, für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter und auch für unsere Kunden. Wir haben alles daran gesetzt, in dieser schwierigen Zeit ganz nah an unseren Kunden dran zu sein und ihnen beizustehen. Das hat des- halb funktioniert, weil alle ihr Bestes gege- ben haben. Wir haben auch gesehen, dass klares und entschlossenes Handeln wichtig ist, wie das etwa die Bundesregierung vor- bildlich getan hat. Wir sind als Team stark – das gilt für die Deutsche Bank, aber auch für Deutschland und Europa. Wenn wir alle an einem Strang ziehen, kommen wir auch durch solch völlig unvorhersehbare Krisen.
Ja, ich halte das für möglich. Corona hat uns gezeigt, dass wir mit weniger auskom- men können und unsere Arbeitswelt an- ders funktionieren kann. Wir mussten uns zwangsläufig einschränken, haben weniger konsumiert, anders gearbeitet – und es hat funktioniert. Deshalb bin ich sogar über- zeugt, dass wir vieles davon langfristig bei- behalten können. Das gilt zum Beispiel für das mobile Arbeiten von zuhause aus, das viele bisher eher skeptisch gesehen haben. Die vergangenen Wochen und Monate ha- ben gezeigt, dass es gut funktioniert. Wir waren insgesamt auf weniger Dienstreisen, oft haben Videokonferenzen ausgereicht und wir konnten somit durchaus zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Natürlich muss und wird sich aber Einiges auch wieder –
in Anführungszeichen – normalisieren.
Die Deutsche Bank und ihre Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter sind krisenerprobt. Der Umgang mit der Corona-Pandemie
hat uns das noch einmal eindrucksvoll vor
Augen geführt. Unsere Mitarbeiter haben – über alle Funktionen und Einheiten hinweg – einen hervorragenden Job gemacht. Die Krise hat uns außerdem gezeigt, dass wir mit der im vergangenen Jahr angepassten Strategie auf dem richtigen Weg sind –
sie macht uns weniger anfällig für Markt- schwankungen und sorgt für eine solide Kapitalbasis. Ich selbst habe für mich eine gute neue Mischung aus physischem und virtuellem Kontakt mit Mitarbeitern
und Kunden entdeckt – eine, die mindes- tens so effizient ist wie zuvor.
Wir können eine nachhaltigere Zukunft bauen, wenn wir
dem Nächsten einfach helfen, ohne dafür eine Gegenleistung
zu erwarten
Die von Christian Vollmann gegründete Nachbarschaftsplattform nebenan.de hat mit der Hilfsaktion KaufNebenan für lokale Kleingewerbe und Selbständige gezeigt, wie die Digitalisierung in der Not helfen kann, soziale Distanzen abzubauen. Vollmann sieht durch die Pandemie die Solidarität in der Gesellschaft gestärkt:
Was ist die
größte Erkenntnis,
die wir aus
der Corona-Krise
ziehen müssen?
Halten Sie die
Menschheit für fähig,
nach Corona eine andere, neue, nachhaltigere Welt zu bauen?
Was haben Sie
in der
Corona-Krise
über sich als
Mensch gelernt?
Die größte Lehre: Das Virus hat vor keiner Grenze halt gemacht, keinen Unterschied in Hautfarbe, Ethnie, Klasse oder sonstiges. Wir Menschen sitzen alle im gleichen Boot. We are all one people.
Wir können eine nachhaltigere Zukunft bauen, wenn wir nach dem Pay-Forward- Prinzip leben. Also dem Nächsten einfach helfen, ohne dafür eine Gegenleistung
zu erwarten. Jeder kann heute damit an- fangen, es kostet nichts. Die Gemeinschaft profitiert, und nur gemeinsam kommen wir in die Zukunft. Ein gutes Beispiel dafür war die Aktion KaufNebenan von Postbank, Deutsche Bank und nebenan.de, bei der
unkompliziert den lokalen Gewerbetrei- benden geholfen wurde, durch die Krise
zu kommen.
Ich habe zum einen gelernt, bescheiden
zu sein und den Augenblick wahrzuneh- men. Das Leben kann morgen vorbei sein. Zum anderen habe ich erneut erlebt, wie wertvoll es ist, flexibel zu sein, um sich neuen Gegebenheiten schnell anpassen
zu können.
Unsere Werte
haben sich bewährt
Die Automanufaktur Dallara ist auf die Entwicklung leichter, umweltfreundlicher Materialien und energieeffizienter Aerodynamik im Motorsport spezialisiert. Während der Pandemie hat Andrea Pontremoli erkannt, dass dieses Wissen auch anderen Branchen
helfen könnte.
Welche
Auswirkungen hatte
die Pandemie auf
Ihr Geschäft?
Was haben Sie während
des Lockdowns über sich selbst und über Ihr Unternehmen gelernt?
Während der Corona-Krise wurde der ge- samte Motorsportsektor weltweit gestoppt. Darum waren auch wir gezwungen, die Produktion in diesem Bereich einzustellen. Aber wir haben die Zeit genutzt und mit Entwicklungen in den Konstruktionsabtei- lungen weitergemacht. Wir hatten 200 In- genieure und Techniker, die von zu Hause aus gearbeitet haben. Dabei hat sich positiv ausgezahlt, dass wir zuvor in die Breit- band- und IT-Systeme investiert hatten.
So waren unsere Mitarbeiter bestens digital vernetzt und konnten täglich zu 100 Pro- zent Leistung erbringen.
Die Corona-Krise hat weder die Mission, noch die Vision Dallaras verändert. Unsere Grundwerte haben sich bewährt: Investitio- nen in Menschen, Ehrlichkeit, Werte für den Kunden zu schaffen, der Glaube an kontinuierliche Innovation, kurzum, die Suche nach Exzellenz. Die Pandemie hat uns aber auch zum Nachdenken veranlasst. So haben wir erkannt, dass unsere Leistun- gen für die Automobilbranche auch in Be- reichen wie der Biomedizin oder Luft- und Raumfahrt von großem Wert sein können.
Der Mensch braucht Begegnungen. Er braucht soziale Kontakte
Gästen von Partnerrestaurants in München wird in den Wintermonaten für ihr Essen ein Euro mehr berechnet. Das Geld fließt über die karitative Initiative Hilf Mahl! zu 100 Prozent an drei Einrichtungen in München, die sich um in Not geratene Obdachlose kümmern. Hanna Eisinger ist eine der Gründerinnen von Hilf Mahl und sieht durch Corona die soziale Nähe gestärkt.
Was ist die größte Erkenntnis, die wir
aus der Corona-Krise ziehen müssen?
Was ist zu
tun, um nicht
in alte Muster zurückzufallen?
Was haben Sie in der Krise über sich als Mensch gelernt und was über Ihr soziales Engagement?
Für mich eine der größten Erkenntnisse
ist, dass der Mensch Begegnung braucht.
Er braucht soziale Kontakte. Es reicht nicht, über digitale Medien Gemeinschaft zu erfahren. Ein Bildschirm kann die direk- te Begegnung nicht ersetzen. Die andere Erkenntnis ist, dass unsere Gemeinschaft sehr stark ist. Einkaufen für andere, sich kümmern um den Nachbarn, Kuchen ba- cken für ältere Menschen, diese Bewegung fand ich ganz toll. Das muss auch ohne
Corona weitergehen.
Wir sollten das, was wir durch Corona
gelernt haben, weiterführen. Nehmen wir nur die Integration von Berufsleben und Privatleben. Mit diesem Thema identifizie- re ich mich seit der Coronakrise noch mehr als bisher. Wie organisiere ich mein Home- office? Wie teilen sich Familien Arbeit auf? Ich hoffe, dass nun endgültig erkannt ist, dass wir die neuen Technologien brauchen und die Firmen offener sind, die Rahmen- bedingungen zu schaffen, um Work, Life und Family besser zusammenzubringen.
Ich nehme als Geschäftsfrau keinen Um- satzrückgang hin – auch nicht bei unserer Initiative Hilf Mahl! Sofern es eine Corona- Delle geben sollte bei der Gastronomie,
deren Gäste uns mit einem Euro pro Essen unterstützen, müssen wir einfach mehr Restaurants akquirieren, um den drei Münchner Einrichtungen für Wohnungslo- se den gewohnten Betrag von jeweils etwa 15.000 Euro im Jahr zu garantieren. Man kann sagen, dass uns die Krise in unserem Weg bestärkt hat. Hilf Mahl! muss weiter- gehen. Dafür muss auch unsere Rolle so bleiben, wie sie ist: Wir sammeln Geld für hilfsbedürftige Menschen in München.